norway.today

Gastspiel „MACHT OHNE BUeHNE“ | von Igor Bauersima

Aus dem Meer erheben sich die Berge, türmen sich auf über hunderte von Metern, bis das Meer da unten nur noch klein und entrückt, fern sich zwischen den Massiven schlängelt. Erhabene Idylle. Grenzenlosigkeit. Der Wind zerzaust das Haar, drückt, schiebt, droht einen über die Klippe zu fegen. Ein Ort zum Sterben schön. Dorthin verabreden sich in einem Chat Julie und August. Zu jung zum Sterben, zu satt vom Leben.

Die MACHT OHNE BUeHNE-Produktion des Erfolgsstücks „norway.today“ von Igor Bauersima frischt den Text neu auf. Seit der Uraufführung im Jahr 2000 hat sich die Internetwelt stark verändert – sowie auch ihr Jargon. Der Chatroom wird zur begehbaren Virtualität und der Fjord zur gefakten Realität. Die Wirklichkeit des Suizids geht mit dem Spaß an der Verwirrung am Abgrund spazieren. Nichts ist wie es ist sowie nichts bleibt wie es war. Aber es wird schon…

Die Internetrealität aufgreifend begleitet das Projekt eine Twitterkampagne, zum Beispiel durch ein Tweet-Up zur Premiere am 26.2.2015 im ACUD.


MACHT OHNE BUeHNE

Im Jahr 2006 ging aus einem kleinen Hausensemble des „Zimmer 16“ in Berlin Pankow das freie Theaterteam MACHT OHNE BUeHNE hervor. Philosophie dieser Gruppe wurde es, Theater als eine Aufforderung zu sehen und sie nicht nur für sich selbst verstanden zu wissen. Zudem sahen sich ihre Mitstreiter nicht an einen festen Theaterort gebunden, sondern griffen die Idee des wandernden Theaters auf: gerade die unterschiedlichen Bedingungen der verschiedenen Theater wurden als der besondere Reiz des Aufführens aufgefasst. Mittlerweile beginnt sich ein neuer Begriff von „ohne Bühne“ herauszukristallisieren. Die MACHT OHNE BUeHNE strebt nun immer mehr zu jenen Räumen, die erst als Bühne behauptet werden müssen, es steht somit tatsächlich in ihrer Macht, ohne Bühne Theater zu schaffen, da sie sich die Freiheit nimmt, jeden Raum zur Bühne zu erklären. Einher geht diese Entwicklung mit fünf Inszenierungen, die nicht nur in Berlin oder in Deutschland zur Aufführung kamen, sondern auch in Rumänien, Belarus, Armenien und Polen. Neben dem eigenen Schaffen liegt folglich noch eine weitere Bedeutung in der Theaterarbeit: das Netzwerken. Internationale Beziehungen sind nicht nur an sich eine bereichernde Erfahrung, sondern öffnen die Möglichkeiten, das eigene Schaffen im Aufeinandertreffen unterschiedlicher kultureller Erfahrungen, die wiederum allseits von Offenheit geprägt ist, zu neuen Diskursen zwischen den Schaffenden und letztendlich auch zwischen Bühne und Publikum anzuregen. Die bisher entstandenen Inszenierungen basieren allesamt auf Stücken von Autoren des 20. Jahrhunderts, u.a. Sławomir Mrożek, Albert Camus oder auch Tennessee Williams. Diese „Tradition“ wird fortgesetzt (z.B. mit „norway.today“ 2015). Erweitert wird das Spektrum zudem durch eigene Stoffe, die somit einen eigenen Akzent auf der Bühne setzen. Eine dritte Komponente unserer Arbeit ist das Format der theatralen Lesung, die mit der Lesereihe [re:lies] repräsentiert wird. Der Auftakt im Februar 2014 galt dem polnischen Theatermeister Sławomir Mrożek.

Da Theater nicht unpolitisch sein kann (selbst wenn es das sein will) ebenso wenig wie man nicht nicht-kommunizieren kann, versteht die MACHT OHNE BUeHNE ihre Inszenierungen nicht als Selbstzweck. Jeder Arbeit liegt eine gezielte thematische Auseinandersetzung mit aktuellen Gesellschaftsfragen zugrunde. Diese sollen künftig auf dieser Seite nicht nur zu Diskussion anregen, sondern auch fortgeführt und intensiviert werden können. Das braucht jedoch seine Zeit. Wir freuen uns über jede und jeden, der uns bis dahin und darüber hinaus sowohl hier als auch dort, wo wir spielen, mit Wohlwollen und zugleich kritischer Aufmerksamkeit begleitet.


Regie/Organisation: Johannes Gruhl | Es spielen: Gabriele Groll, Paul „Fo“ Bogadtke | Öffentlichkeitsarbeit: Conny Gruhl